© 2004 – Hauskreisarbeit der Evang. Landeskirche, Württ.

www.hauskreise-in-wuerttemberg.de

 

Perspektiven Nr. 37
Hauskreise - ein starkes Stück Zukunft - Teil 3

( die Teile I und II finden Sie im Downloadbereich von www.hauskreise-in-wuerttemberg.de )

Ein Vortrag auf dem Evang. Kirchentag von Pfr. Hans-Hermann Pompe

4. Problem und Verheißung der Hauskreise - eine Standortbestimmung

Naturgemäß beziehe ich mich v.a. auf die Erfahrungen, die wir in unserer Wuppertaler Gemeinde beim Aufbau einer Kleingruppen-Struktur machen. Aber aus vielen Gesprächen weiß ich, dass andere Gemeinden und Hauskreise an ähnlichen Punkten arbeiten. Ich nenne vier Problemfelder, die anzugehen sind, damit Hauskreise und kleine Gruppen in der Gemeinde Jesu wirklich ein starkes Stück Zukunft sind.

4.1. Leitung und Verantwortung - die liegengebliebene Aufgabe

Hauskreise sind ein Bereich mit starker Eigenverantwortung; kein einziger Hauskreis wird bei uns von Hauptamtlichen geleitet. Ehrenamtliche sind gerne bereit, einen Hauskreis mitzustarten. Trotzdem haben viele Kleingruppen das Gefühl, die Gruppe würde von selber laufen, wenn alle sich irgendwie beteiligen. Natürlich läuft sie auch - irgendwie, manchmal, oft nicht schlecht. Aber er bringt nicht Teilnehmenden nicht weiter. Und wenn ein Hauskreis oder eine kleine Gruppe unbefriedigend geworden ist, träge oder abgeschottet, dann hat das in der Regel Ursachen. Zu den häufigsten gehören neben fehlendem Ziel und unausgesprochenen Erwartungen die fehlende Leiterschaftsverantwortung.

Wir haben in unserer Gemeinde erfahren, dass das Wort „Leitung" nicht bei allen guten Klang hat. Viele hören Macht, Hierarchie, Unter- und Überordnung. Wir wollen keine Führer mehr, damit haben wir Deutsche schlechte Erfahrungen gemacht. Wir verstellen uns damit aber den Blick auf das Charisma Leitung. Es ist genauso wie z.B. Musikalität, Verkündigung, Organisation, Seelsorge, Beziehungsfähigkeit oder Gebet eine Gnadengabe. Gottes Geist hat manche besonders dafür begabt, für andere eine Kleingruppe zu gestalten, die Leben verändert, ermutigt und Wachstum schenkt. Gemeinde wächst, wo sie diese Menschen findet, ermutigt, ausbildet und begleitet.

4.2. Mission und Multiplikation - Radio Eriwan sendet immer noch

Die Gemeinde Heckinghausen versteht sich als missionarische Gemeinde. Wir veranstalten z.B. einmal im Jahr einen Glaubenskurs für Erwachsene, an dessen Ende immer ein ganzer Schwung „junger" ChristInnen da stehen und eine Gruppe brauchen. Aber jedes Jahr ist das Problem, dass die Mehrheit der bestehenden Hauskreise jetzt gerade niemand aufnehmen kann. Ich nenne das die Radio-Eriwan-Taktik: Im Prinzip ja, aber... Wir müssen also immer wieder einen neuen Kreis anfangen - und wenn man die ein Jahr später fragt, habt ihr Platz für Neue, dann lautet die Antwort möglicherweise auch: Im Prinzip ja, aber... Ebenso geht es übrigens mit dem subversiven Gedanken der Multiplikation, also der Teilung eines bestehenden Hauskreises, damit neue Mitglieder aufgenommen werden können. „Jetzt, wo wir uns gerade so gut verstehen?"

Mission, die Beauftragung zur Weitergabe der guten Nachricht an alle Menschen, stößt zu allen Zeiten auf unsere Bequemlichkeit und Trägheit, unsere Selbstzufriedenheit und Menschenfurcht.

Es kann also nicht überraschen, dass das in den Hauskreisen genauso ist. Verheißung der Hauskreise ist: Sie können eine offene Tür zum Leben sein, wenn sie die vielen Menschen sehen, die solch eine Kleingruppe brauchen.

4.3. Versammelte Gemeinde und Kleingruppe - wer braucht wen mehr?

Auf einem Hauskreistag in Westfalen wurde mir geklagt, dass Hauskreise in Gemeinden oft an den Rand gedrängt werden: unter dem Verdacht des Sektierertums, oder wenigstens als fromme Außenseiter. Ich vermute hinter diesem Reflex der Verantwortlichen - meist sind es meine KollegInnen - weniger theologische Anfragen als den Versuch, Macht und Einfluss in der Hand zu behalten. Aber damit begrenzen PfarrerInnen sich auf den Kreis der Leute, die sie erreichen können. Umgekehrt höre ich Klagen von KollegInnen über introvertierte, verschlossene und misstrauische Hauskreise, die die wahre Kirche auf ihr Treffen begrenzen.

Beide haben noch nicht verstanden, dass Gemeinde nur im Doppelpass, von Kleingruppe und Versammlung den großen Auftrag erfüllen können. Zur Zeit des Neuen Testaments gab es - außer in Jerusalem - keine großen Gemeinden. Aber man kann z.B. in Rom von mindestens acht kleinen Hausgruppen ausgehen, als der Römerbrief geschrieben wird. Es war in der Großstadt auch kaum möglich, alle immer zusammen zu versammeln.

Wenn Gemeinden größer werden, muss in irgendeiner Weise die Funktion von Kleingruppen und versammelter Gemeinde geklärt werden: Bei uns sind den Gottesdiensten die Aufgaben Lob Gottes, Lehre und Auslegung der Bibel, Abendmahl, Taufe, Information, Gemeinschaft mit der weltweiten Christenheit, Fürbitte und Feier zugewiesen. In den kleinen Gruppen und Teams findet statt: Austausch und geteiltes Leben, Vertiefung und Aneignung der Bibel, gemeinsames Gebet, gegenseitiges Mittragen und Begegnung, Mitarbeit und Verantwortung für Aufgaben. Einige Funktionen gehören sowohl in kleine Gruppen wie in den Gottesdienst: Anbetung, Kollekte, Fürbitte, Hören auf Gottes Wort. Wie immer man es bestimmt: Gegenseitige Ergänzung von Hauskreis und Gottesdienst lässt Gemeinden wachsen. Misstrauen und falsche Alternativen führen zu Stagnation oder Schrumpfung.

4.4. Distanz oder Nähe - von der kulturverändernden Kraft des Evangeliums

Menschen aus anderen Kulturen leiden in Deutschland oft unter Kälte und Distanz zwischen Menschen. Wir haben eine englischsprachige afrikanische Gemeinde als Teil unserer Gemeinde. Ab und zu feiern wir einen gemeinsamen Gottesdienst. Ich glaube, die Geschwister leiden sehr darunter, dass wir Deutschen einen ewigen Anlauf brauchen, um unsere Freude im Gottesdienst auszudrücken. Auf einer Konferenz in England haben die Gastgeber uns alle mit Vornamen angesprochen - und wir sie ebenso, aber die deutsche Delegation hat sich untereinander stur gesiezt. Unsere Kultur der Distanz hat uns fest im Griff.
In den Hauskreisen spiegelt sich das in der Scheu vor Offenheit und Nähe. Auch Hauskreise können sehr distanziert laufen, z.B. mit klugen Bibelgesprächen und weisen Themen. Aber ob jemand gerade in einer Krise steckt, Angst vor Prüfungen hat oder mit dem Alzheimer der Mutter nicht fertig wird - das kann ganz ausgeblendet bleiben. Wir haben viele Gefühle versteckt und unsere Gottesdienste und Gruppen spiegeln uns das wider. Das Evangelium erlaubt uns, die Wahrheit in Liebe zu sagen (Eph 4,15), also Offenheit zu wagen, die weder verletzt noch ausgenutzt wird. Jede kleine Gemeindegruppe, die das wagt, füllt ein tief liegendes Defizit unserer eigenen Kultur.

5. Wie Hauskreise die Zukunft der Kirche leben können

Manche bezeichnen die Hauskreise als die Kirche der Zukunft - dieser Satz ist oft geboren aus Enttäuschung an der real existierenden Ortsgemeinde. Ich würde diesen Satz lieber verändern: Die Zukunft der Kirche findet nur mit Kleingruppen statt - oder sie findet nicht statt. Sechs Verheißungen, die die Kleingruppen der Kirche eröffnen können:

5.1. Nähe: Der Lernort der Beziehungsfähigkeit

Martin Buber hat gesagt: „Wahre Gemeinschaft entsteht nicht dadurch, dass Leute Gefühle füreinander haben (wiewohl freilich auch nicht ohne das), sondern durch diese zwei Dinge: dass sie alle zu einer lebendigen Mitte in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen und dass sie untereinander in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen... Gemeinschaft baut sich aus der lebendig gegenseitigen Beziehung auf, aber ihr Baumeister ist die lebendig wirkende Mitte" (nach Klenk 76f.)
Hauskreise können zu Lernorten der geschenkten Gemeinschaft werden: Was wir dringend brauchen, Beziehungsfähigkeit, wird uns geschenkt, wo wir die suchende Liebe Gottes uns finden lassen. Aus der Gottesbeziehung in Jesus wächst die verlorene Beziehungsfähigkeit zu anderen.

5.2. Verbindlichkeit: Wachstum in der Nachfolge

Burkhard Krause hat in seinem Buch „Auszug aus dem Schneckenhaus" vorgeschlagen, die Unverbindlichkeit und Trägheit vieler Hauskreise zu beenden, indem sie sich zu einer Weggemeinschaft auf Zeit für ca. ein Jahr verabreden. Ziel ist es, die verändernde Kraft des Evangeliums gemeinsam zu entdecken und Schritte des Glaubens zu wagen. Dazu legt sich die kleine Gruppe fest auf gemeinsame Absprachen. Der wachsenden Unverbindlichkeit eines harmlosen Hauskreises wird durch einen neuen Aufbruch der Verbindlichkeit und Erwartung begegnet. In diesen Nachfolgegruppen können Menschen mehr lernen über die Kraft des Evangeliums als in vielen Jahren unverbindlicher Gespräche. Wie immer auch Kleingruppen ihr Miteinander verabreden - als Nachfolgegruppen bieten sie die große Chance, dass sich das Evangelium tatsächlich als Lebensveränderung erweist und die Teilnehmenden zum Salz der Erde werden.

5.3. Ehrlichkeit: Der Schritt der Offenheit

Die zunehmende Selbstinszenierung in unserer Gesellschaft lässt die Menschen mit sich selbst alleine. Wer Schwäche zeigt, wird verletzt oder zurückgesetzt. Wer Nähe zulässt, wird ausgenutzt. Die Spirale der Selbstüberschätzung ist erst da beendet, wo wir uns nicht mehr selbst beweisen müssen.
Die Mitglieder der kleinen Gruppe wagen den Schritt zur Offenheit. Weil Gott sie in Jesus vorbehaltlos annimmt, können sie vorbehaltlos offen werden, ohne sich selbst zu verlieren. In der Gemeinschaft der begnadigten SünderInnen muss ich mich nicht mehr verstellen. Wo Jesus mich berufen hat, muss ich meinen Wert nicht erst beweisen. Wo Gott mir ganz nahe kommt, kann ich Nähe wagen.

5.4. Armut: Das Wagnis der Anspruchslosigkeit

Die Kirche in ihrer Mehrheit verweigert Gott bisher den Weg zurück in die Wüste. Sie hat noch nicht verstanden, dass Gott selbst uns die gesellschaftlichen Privilegien entzieht, damit wir uns wieder ganz auf ihn verlassen. Sie hat noch nicht akzeptiert, dass der Verlust des materiellen Reichtums eine Medizin des Herrn der Kirche ist. Sie ist noch nicht bereit, zur armen Kirche zu werden.
Die kleine Gruppe kann der Kirche diese totale Abhängigkeit wieder beibringen: Ohne Gebäude und Etat, ohne Struktur und Hauptamtliche, lebt sie Gemeinde Jesu. Sie teilen miteinander, was Gott jedem und jeder geschenkt hat. Sie sind anzutreffen für ihre Bekannten und Nachbarn, sie sehen, was an Not und Elend vor ihrer Tür liegt, sie bezahlen den Preis der Nachfolge. Sie geben auf, was sie hindert, ganz hinter dem Mann aus Nazareth zu bleiben.

5.5. Zeugnis: Die Einladung zum Glauben

Es gibt weniges, was unserer Kirche mehr fehlt als die Fähigkeit und Bereitschaft der ChristInnen, ihren Glauben mit anderen zu teilen. Wer kann denn die eigene Geschichte in wenigen Sätzen erzählen, um dahinter Seine Geschichte aufleuchten zu lassen? Wo kommen denn die Menschen zum Gottesdienst, weil die Begeisterung ihrer christlichen Nachbarn von der Quelle des Lebens erzählt?
Die kleine Gruppe trainiert die Sprachfähigkeit des Glaubens. Hier wage ich, meine Erfahrungen zu deuten und unter den Verheißungen Gottes zu sehen. Hier lerne ich, den Schatz im Acker auszugraben und ihn weiterzugeben an andere. Hier gebe ich das Wenige, was ich habe, mit anderen an Jesus ab und erhalte es gesegnet und ausreichend für viele zurück.

5.6. Zukunft: Der geöffnete Himmel

P.M.Zulehner (Kirchenenttäuschungen 73ff): Marx hat den Kirchen vorgeworfen, sie vertrösteten den Menschen aufs Jenseits, um ihn von der Unterdrückung im Diesseits abzulenken. Inzwischen sind die Kirchen jenseitsverschwiegen geworden - und die Menschen suchen sich ihr Leben nach dem Tod woanders. Und wo sie keinen Himmel finden, wird das Glück immer ausufernder im Diesseits gesucht und immer weniger erfüllbar erlebt. Weil sie kein Jenseits mehr kennen, wird das Leben zur letzten Gelegenheit. Alles ist eine einzige Vertröstung aufs Diesseits. Die Angst wächst, in diesem Leben zu kurz zu kommen. Sie kann nur betäubt werden durch ein ständiges Suchen nach Ablenkung und Unterhaltung.

Die kleine Gruppe lebt „die Option auf einen offenen Himmel" (Zulehner). Wir verachten das nicht, was Gott uns hier schenkt. Aber wir verweigern uns der stillschweigenden Vertröstung aufs Diesseits. Wir haben gesehen, dass in Jesus der Himmel offen steht - und wir gehen auf eine Zukunft zu, die der Mensch weder zugrunde richten kann noch selbst garantieren muss. Wir haben das Salz des Himmels auf der Zunge - und wir würzen damit den faden Einheitsbrei einer diesseitigen Gesellschaft, die weder den Tod zulassen kann noch die Überlastung durch ihre unerfüllbaren Wünsche erträgt. Gerade weil wir vom Himmel wissen, können wir der Erde treu bleiben.


Hans-Hermann Pompe

- jetzt zum Leiter des Amtes für missionarische Dienste im Rheinland berufen -