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Perspektiven Nr. 46
Das biblische Wort:
"Gott kommt in unsere Welt - Grund genug, hellhörig zu werden"

Gott kommt in unsere Welt - in eine Welt voller Hektik und Last, voller Gewalt und Not, voller unerfüllter Wünsche und enttäuschter Sehnsüchte.
Gott kommt in unsere Welt - dies ist eine Wahrheit, so unfassbar, dass uns oft Worte und Bilder fehlen, die uns darauf vertrauen lassen, dass Gott auch zu uns - zu Ihnen und dir und mir ganz persönlich - gekommen ist und wir ihm täglich neu begegnen.
Aus Stift Urach möchte ich Ihnen einen Gruß mit einem Text von Henry Nouwen schicken, einem holländischen Theologen und Psychologen, der zu einem der wichtigsten geistlichen Autoren unserer Zeit wurde.
Er versuchte in seinen Texten umwerfende, unfassbare theologische Wahrheiten spürbar, wahr nehmbar zu machen. Immer wieder ließ er für Monate und Jahre seinen Alltag zurück, um sich neu von Gott ansprechen zu lassen - in einem Trappistenkloster, in einer Basisgemeinde in Lateinamerika und schließlich in einer Lebensgemeinschaft mit Behinderten, deren geistlicher Leiter er bis zu seinem Tod 1996 blieb.

Ein Gespräch zwischen Zwillingen im Bauch ihrer Mutter:
"Glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?"
"Ja, das gibt es. Unser Leben hier ist nur dazu gedacht, dass wir wachsen und uns auf das Leben nach der Geburt vorbereiten, damit wir stark genug sind für das was uns erwartet."
"Blödsinn, das gibt es doch nicht. Wie soll denn das überhaupt aussehen, ein Leben nach der Geburt?"
"Das weiß ich auch nicht genau. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?"
"So ein Unsinn! Herumlaufen, das geht doch gar nicht. Und mit dem Mund essen, so eine komische Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Außerdem geht das Herumlaufen gar nicht, die Nabelschnur ist ja jetzt schon viel zu kurz."
"Doch es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders."
"Es ist noch nie einer zurückgekommen von 'nach der Geburt'. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende. Und das Leben ist eine Quälerei und dunkel."
"Auch wenn ich nicht so genau weiß, wie das Leben nach der Geburt aussieht, jedenfalls werden wir dann unsere Mutter sehen und sie wird für uns sorgen."
"Mutter? Du glaubst an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?"
"Na hier, überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie können wir gar nicht sein!"
"Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht."
"Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt...."

"Wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt." - Mitten im Alltag ist Gott in Jesus Christus Mensch geworden. Und mitten in unserem Alltag ist er uns auch heute nahe.
Doch wie oft fehlt uns der ruhige Blick, das aufmerksame Ohr, das offene Herz dafür, ihn wahrzunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass Christen in ihrem Alltag - und auch an ‚besonderen Tagen', zum Beispiel in Stift Urach - Einkehr halten, inne halten, wahr - nehmen, wie nahe Gott ihnen ist.
Dabei tut es gut, auch in ehrlichem und vertrautem Gespräch miteinander Erfahrungen auszutauschen, wo und wie wir ‚Gottes Singen in unserem Leben und sein Streicheln unserer Welt' erleben:
Nehmen wir uns Zeit dafür, Gottes Gegenwart in unserem Leben wahrzunehmen? Wann und wie erleben wir Gottes Nähe? Können wir darauf vertrauen, Gott in unserem Leben zu spüren?

Einen guten Anstoß dafür, den eigenen Erfahrungen nachzuspüren und miteinander darüber ins Gespräch zu kommen, scheint mir die Beschäftigung mit den nachfolgenden Sätze zu bieten:
- Die Einkehr ist "eine Disziplin, durch die wir Gott in unserem Herzen zu sehen beginnen" (Henry Nouwen)
- Wer den Weg nach innen geht, kann um so bewusster Schritte nach außen gehen (Renate Voswinkel)
- Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe, von ihm kommt mir Hilfe (Psalm 62,2)
- Nimm sie an, meine Liebe, sie ist alles, was du brauchst! (Georg Popp, Jesusmeditationen)
- Meine Seele wartet auf den HERRN mehr als die Wächter auf den Morgen (Psalm 130,6)
- Geh deinen Weg gelassen im Lärm und in der Hektik dieser Zeit, und behalte im Sinn den Frieden, der in der Stille wohnt. (Max Ehrmann, Desiderata, bekannt als ‚die Lebensregel von Baltimore)
- Meine Seele ist still und ruhig geworden wie ein kleines Kind bei seiner Mutter. (Psalm 131,2)
- Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? (Markus 8,37)

Wie geht es mir, wenn ich diesen Satz höre? Verstehe ich, wovon er spricht? Weckt er Sehnsucht in mir? Ärgert er mich? Glaube ich ihn?

Wie dieser Text im Hauskreis lebendig wird
Bei Gruppen ab ca. zehn Mitgliedern können diese - und andere - Sätze gemeinsam in einem ‚Stationengespräch' bedacht werden.
Dazu werden halb so viele Blätter wie es Gesprächsteilnehmer sind rund herum im Raum an den Wänden verteilt werden. Auf ihnen steht jeweils einer der Sätze. Nun stellen sich immer zwei Leute (bei ungerader Gruppengröße an einer Stelle drei) vor ein Plakat und sprechen miteinander darüber, wie sie zu der auf dem Papier geschriebenen These stehen.
Nach ca. drei Minuten beenden alle Paare auf ein Zeichen hin ihr Gespräch. Einer von ihnen geht zum nächsten Zettel nach rechts, der andere nach links. So treffen sich wieder jeweils zwei Menschen und sprechen wieder ca. 3 Minuten miteinander. So hat jeder Zeit, sich mit allen Thesen auseinander zu setzen und kommt dabei mit verschiedenen Mitgliedern der Gruppe ins Gespräch.
Nach der letzten Station formuliert jeder für sich am besten auf einem Zettel - oder einer schönen Karte - was für ihn Einkehr bedeutet. Anschließend ist sicherlich das Interesse groß, einander vorzustellen, welche These man formuliert hat, und dabei festzustellen, wie vielfältig die Erfahrungen der Einkehr sein können.
In kleineren Gruppen bietet es sich an, gleich gemeinsam über die verschiedenen Thesen ins Gespräch zu kommen und anschließend jeweils für sich zu formulieren, was einem selbst für das Wahrnehmen von Gottes Nähe im eigenen Leben wichtig ist.

Denn vielleicht macht das ja Mut, im Advent (und auch nach Weihnachten) besonders hellhörig und aufmerksam Gottes Kommen zu erwarten und seine Nähe in unserem Leben zu spüren.

(Franziska Müller, Pfarrerin z.A. im Stift Urach, hielt diese Andacht anlässlich eines Hauskreis-Wochenend-Seminars im Herbst 2004 in der Stiftkapelle)