© 2004 – Hauskreisarbeit der Evang. Landeskirche, Württ.

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Perspektiven Nr. 36
Das biblische Wort: Apostelgeschichte 9, 10-19a

Eines Tages kam ein Wolf zu den 99 frommen Schafen und er rief schon von weitem: „Hallo, Freunde, ich bin jetzt einer von Euch!" Aber die Schafe eilten so schnell sie konnten davon. Jeder suchte, dass ein Baum oder ein anderes Schaf zwischen ihm und dem Wolf war, denn niemand wollte von diesem gierigen Tier gefressen werden. Man hatte ja Erfahrungen mit diesen Viechern. Aber der Wolf rief noch einmal: „Hallo, ich bin einer von Euch jetzt. Der Herr hat mir nicht nur den Kopf verdreht, sondern Gott hat mir das Herz bekehrt. Ich bin einer von Euch. Kommt, ich fresse in Zukunft wie Ihr das Gras und sonst gar nichts!"

Aber misstrauisch, wie die Schafe waren, hat nur einer mutig mal ein bisschen zurückgeblökt und gefragt: „Kann man Dir denn trauen?" Und die anderen riefen im Chor: „Nein, Wolf bleibt Wolf. Das wissen wir doch. Schuft bleibt Schuft. Da ändert sich nichts. Auch wenn Du in Zukunft nur noch Gras frisst, auch wenn Du in Zukunft vielleicht Wolle gibst, aber Du bleibst und bist ein Wolf. Da ändert sich nichts dran!"

Nicht wahr, wir haben ja nichts normalerweise dagegen, wenn Gott Wunder tut, in frommen Hauskreisen betet man sogar darum. Nein, ein Wunder, so für die Gesundheit - oder mal eine Sturmstillung oder mal eine Brotvermehrung oder das Wunder, dass so viele nette Menschen zusammenkommen und die Sonne auch noch dazu lacht, da beten wir schon drum. Schwierig wird es erst dann, wenn sozusagen eine Veränderung geschehen soll. Nicht bloß eine Sturmstillung, sondern eine grundlegende Veränderung: Wenn aus einem Wolf ein Schaf werden soll, wenn aus einem Verfolger ein Zeuge werden soll, das heißt: Einen, den wir doch genau kennen und von dem wir nicht wissen: Ist er ein Spötter, ist er ein Zweifler, ist er ein Abhängiger, ist er ein Atheist?

Nein, lieber Gott, also solche Wunder, das trauen wir dir dann doch nicht zu. Von mir aus, lass Kranke wieder fröhlich hüpfen, nichts dagegen, notfalls haben wir auch nichts gegen eine Totenerweckung. Aber diese totale Sinnesveränderung, das kann nicht sein, Wolf bleibt Wolf, Schuft bleibt Schuft.

Nein, nein, mit der Bekehrung des Paulus, da haben wir normalerweise keine Probleme. Denn das steht ja in der Bibel und das glauben wir. Das macht uns nicht die Mühe. Aber wir kennen ihn ja auch als einen brillanten Theologen. Aber stellt euch doch einmal vor, die in Damaskus damals, die kannten nicht den Römerbrief - den hatte er ja noch nicht geschrieben. Sondern sie kannten nur das, was ihnen zu Ohren gekommen ist: „Schuft, Verfolger, und was für einer! Ein Energiebündel, aber gewaltig. Nein, da muss man aufpassen."

So geht es dem Ananias natürlich auch. Als Gott ihn anruft und sagt: „Du, geh doch mal dahin. Geh hin zu dem und öffne ihm die Augen und sag ihm, was mit ihm geschehen wird. Leiden wird dazugehören, aber auch, dass er vor Gewaltigen dieser Welt zu predigen hat. Und die Heiden nicht zu vergessen - aber auch sein eigenes Volk, die Juden." Das alles soll der Ananias sagen.

Geduldig wie ein Hauskreisleiter hört er sich das an, was Gott ihm zu sagen hat. Er sagt sogar: „Hier bin ich." Aber dann muss er doch eingreifen. Und er sagt: „Du, lieber Gott, sei doch mal so lieb und schau in deinen Unterlagen nochmal nach. Da muss ein Irrtum vorliegen. Saul aus Tarsus, über den haben wir andere Informationen. Zu dem werde ich nicht gehen und ihm die Bruderhand reichen. Nein, nein, das kannst du nicht verlangen." Aber Gott spricht: „Geh nur, ich habe ihn umgekrempelt. Ich habe aus diesem Wolf ein Schaf gemacht. Ich möchte, dass du ihn in die Gemeinde führst. Geh zu ihm."

Glauben wir, dass Gott bekehren, erwecken, verändern kann? Und wollen wir das dann auch, dass die bei uns Wohnraum finden, Heimat finden und dass da die kleinen neugeborenen Geschwister nicht ausgesetzt werden, sondern in der Familie Gottes einen Platz als Schwester und Bruder bekommen? Vielleicht haben die damals in Damaskus vorher noch gebetet, als sie hörten, der Saul sei unterwegs: „Ach, Herr, bewahre uns vor diesem Schlächter und schlage ihn mit Blindheit, dass er uns nicht findet." - Das kann man ja erbitten und erwarten, dass man da gut herauskommt und hinterher hätten sie sicher einen Dankgottesdienst oder gar einen Lobpreisgottesdienst angezettelt, um irgendwie das wieder klarzumachen: „Ach, du hast unser Gebet erhört. Wie wunderbar!"

Ich stelle es mir so vor: Am Abend nach der ganzen Szene will der Ananias den neuen Bruder Saul in seinen Hauskreis einführen. Aber - gewitzt wie er ist - sagt er: „Du, du wartest noch ein bisschen draußen. Ich muss die drinnen zuerst ein bisschen vorbereiten." Das muss man ja machen. Da muss man ja ganz behutsam vorgehen und er geht rein und sagt: „Stellt Euch vor, was heute passiert ist. Der Saul, von dem wir..." - „Was, ist der schon da?" „Ja, der ist schon da, aber jetzt hört doch erst mal zu!" (Es geht ja manchmal so in den Hauskreisen durcheinander, dass man nicht wartet, bis der andere fertig ist).
Aber der Ananias setzt sich durch und sagt: „Jetzt hört zu! Ich war bei ihm und ich habe ihm die Augen geöffnet - übrigens habe ich ihn auch schon getauft - wir können nichts mehr dagegen machen, passiert ist passiert. Der gehört jetzt zu uns. Der ist jetzt bei uns dabei."
„Nee, das glauben wir nicht! Wir wissen: Schuft bleibt Schuft!" Und er versucht sie zu überreden und zu überzeugen und er spricht davon, dass Gott ihm das als Auftrag gegeben hat. Da kann man lange davon reden.

Da kommt Saulus rein und steht da und hatte wahrscheinlich auch so feuchte Hände wie der Ananias - und wie wir, wenn wir zum Nachbarn gehen sollen um einzuladen für die Zeltevangelisation. Es ist nicht so ganz einfach. Aber dann plötzlich wird klar: Hier kommen Brüder zusammen - verschiedene Brüder, sehr verschiedene. Ach ja, wie verschieden sind wir doch! Schön, dass wir verschieden sein dürfen!

Und jetzt muss der Paulus gar nicht erst mal nachweisen, dass er zum Frömmigkeitsstil der Damaskus-Gemeinde passt - und zu diesem Hauskreis - nein, er ist einfach angenommen, aufgenommen, ein Bruder, weil inzwischen diese Freunde begriffen haben: Gott tut Wunder. Gott ist allmächtig und auch die Feinde leben von der Gnade, nicht nur wir. Auch die Feinde bekommen die Gnade Gottes. Schöner hätte es uns der Geist Gottes nicht erzählen können, dass die Feinde Gottes zu Geliebten des Allmächtigen werden.

Und so erzählt Paulus, wie Gott ihn bekehrt hat. Ihn, diesen starken Burschen, der für Gott kämpfen wollte. Und das ist ja immer so, starke Leute können nur an einen starken Gott glauben. Und dann war ihm plötzlich klar: das kann nicht sein. Einer der ohnmächtig am Kreiz hängen bleibt, da wo ihn die Menschen festgenagelt haben, das kann kein Gottessohn sein! Und alle, die diesem Schwächling glauben, weg damit! Gott ist allmächtig und ich bin mächtig und deshalb: Weg mit ihnen.

So ist er losgezogen. Und dann begegnete er ihm. Er hält ihn an und stößt ihn vom hohen Ross herunter und er merkt: Ich bin ein blinder Blindenleiter. Ich verführe die Menschen. Ich will nur mein Gottesbild festhalten. Ich will nicht zulassen, dass Gott größer ist als mein Denken. Und dann widerfährt ihm, dass ihn dieser mächtige Gott nicht zusammenschlägt, ja, er schlägt ihn herunter vom hohen Ross, aber er schlägt ihn nicht zusammen, sondern gerade da sagt er: „Und ich möchte dir mit Gnade begegnen, mit was denn sonst!"
So erzählt er es.

Und die Männer und Frauen im Hauskreis von Damaskus fangen langsam an zu begreifen: Gottes Wunder sind wirklich erstaunlich! Das ist mehr als wenn Tote aus dem Grab springen. Denn die Veränderung vom Wolf zum Schaf, die Veränderung einer Persönlichkeit in seiner innersten Grundstruktur - hin zum diesem Sinneswandel, das ist großartig!

Manchmal habe ich den Eindruck, liebe Freunde, als lebten wir in unseren frommen Kreisen nach dem Motto: „Gott weiß alles!" Das signalisieren wir auch mit den Fischen auf unseren Autos.

Aber wir wissen alles besser! Und deshalb ist oft so schwierig, dass ein Saulus auch in die Gemeinde kommen kann. Bekehren, ja, draußen vor den Toren. Aber glauben und beten, taufen und Abendmahl feiern mit so einem - im Hauskreis - in den Stadttoren innen? Gott, hast du da nicht einen Fehler gemacht? Womöglich ist das doch ein Agent - ein Wolf im Schafspelz? Lasst uns vorsichtig sein. Mein Gott!

Und er sagt: „Nein, Ananias, nein, Eugen, nein, Karin, nein, Jens oder Werner oder Walter", oder wie immer wir heißen, „nein, bei mir gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Bei mir hat auch der Feind ein Recht auf Gnade, wenn ich es für richtig halte."

Ich habe es einmal ganz extrem gemacht und mir vorgestellt: Was würden wir sagen, wenn es plötzlich durch die Nachrichten ginge, Saddam Hussein hat sich bekehrt und ist Christ geworden? Würden wir ihn einladen, hier zu predigen? In unseren Hauskreis? Nicht, um mit ihm zu diskutieren über Ölfelder und Kriege, sonder ihn - als Bruder?
Es ist kaum zu glauben, es ist kaum vorstellbar! Und doch möchte ich uns ganz neu einladen: Liebe Freunde, lasst uns nicht um irgendwelche Wunder und Geschichten nur beten. So wichtig das im Einzelfall sein mag. Lasst uns ganz neu wieder zusammenstehen und beten um Erweckung, denn das ist es ja: aus Totem zum Lebendigen kommen. Lasst uns beten um Wiedergeburt, dass Menschen neu werden, dass aus Wölfen Schafe werden. Lasst uns beten um wirkliche Bekehrungen auch in meinem eigenen Herzen, nämlich zu diesem neuen Paulus, zu dem, den Gott gewollt hat und ich nicht draußen lassen darf vor der Tür.

Gott schickt seine Gemeinde auch zu den Menschen, die anstrengend sind. Gewiss! Wir können nicht nur die uns Sympathischen und Wohltuenden missionieren und evangelisieren. Aber erst darin zeigt sich, ob wir wirklich glauben oder nur eine wohltemperierte Frömmigkeit am Tag haben. Ob wir der großen Kraft Gottes vertrauen, der Macht, dass wir hingehen können auch zu denen, die kritisch und feindlich gegen uns gesinnt sind.

Ja, hier ist es leicht, Gottes Jubel zu triumphieren und zu singen. Aber wenn Sie morgen wieder zu Hause sind und gehen zum Nachbarn, um ihn einzuladen zum Glauben, mit feuchten Händen gewiss, vertrauen Sie darauf: Gottes Macht ist mit Ihnen. Das ist doch längstens vorbereitet, dort in Damaskus.

Ich glaube, dass es mehr offene Türen gibt, als wir durchschreiten. Und ich möchte nicht immer nur um offene Türen beten bei Gott und sagen: „Ach, mach doch du die Türen auf!" - und dann keine einzige durchschreiten. Ich wünsche mir sehr, dass wir die offenen Türen durchschreiten, die es gibt.

Ein Beispiel: Neulich, im ICE, sitze ich mit einer Gruppe von Leuten zusammen, die reden über alles und jegliches. Fast jeder erzählt von seinem Beruf - bloß der Eugen, der Feigling, hat sich geniert. Ich wollte nicht in ein Glaubensgespräch verzettelt werden. Ich war müde. Natürlich, meine Ausreden kann ich gut durchhalten, aber offene Türen... Beten wir nur darum, oder durchschreiten wir die, die er für uns aufgemacht hat?

Das ist ja auch interessant in dieser Apostelgeschichte, wie da genau beschrieben wird: „In der Straße, die da heißt die Gerade", also eine relativ genaue Ortsangabe wird gemacht, damit man hin kann. Hören wir auf unseren Gott: Wo er uns sagt, durch welche Türe wir schreiten sollen mit der Kraft Gottes. Dorthin, wo die Menschen sind mit dem tiefen Vertrauen darauf: Gott kann das Wunder der Bekehrung tun. Aus einem Verfolger wird ein Zeuge. Schuft muss nicht Schuft bleiben. Feind ist nicht auf ewig festgelegt.

Lasst uns fröhlich wieder glauben und dann, wenn mir die Augen aufgegangen sind und es wie Schuppen von den Augen gefallen ist, dass da einer die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn dringend nötig hat, dann werden auch dem anderen die Augen aufgehen und er wird sehen, dass Gott längst mit ihm einen wunderbaren Plan hat.

Wenn ich also hinschaue auf die Möglichkeiten Gottes, dann kann ich auch hingehen zu den Menschen, die verloren sind. „Um seines Namens willen", das steht ja auch in diesem Text. Der Paulus wird leiden müssen, „um meines Namens willen". Darum geht es zutiefst und zuletzt immer und immer wieder - um die Ehre Gottes. Sein Name soll geheiligt werden, Sein Name soll groß herauskommen, Sein die Ehre, denn Er hat die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen!

Eugen Reiser


Wie dieser Text im Hauskreis lebendig wird

·        Gibt es Situationen, in denen wir als Christen uns bisweilen wie unter die Wölfe geschickt vorkommen können?

·        An welche Beispiele denken wir spontan?

·        Haben wir selber schon einmal solch eine Situation, zumindest ansatzweise, erlebt? Was/wer hat uns dabei geholfen? Was/wer hat es uns schwer gemacht?

·        Können Sie sich an Situationen bzw. Menschen erinnern, die plötzlich "wie umgekrempelt" waren - so, als ob Gott sie aus einem "Wolf" in ein "Schaf" gewandelt hat?

·        Gab es äußere Anlässe für diese Wandlung?

·        Was würde der Betreffende selber sagen, was ihn änderte?

·        Wie haben andere Mitmenschen darauf reagiert?

·        Ist "Bekehrung" eigentlich immer nur ein plötzlicher Akt - oder gibt es auch allmähliche Wandlungsschritte? Wie war das bei Ihnen selber?

·        Hätte Paulus Einlass bekommen in Ihrem Hauskreis - oder hätten Sie Vorsicht walten lassen: "Wer weiß, vielleicht ist er ein Agent - ein Wolf im Schafspelz?"

·        Sind Sie selber in Ihrem Hauskreis offen für solch gewandelte Menschen? Und was tun Sie konkret in Ihrer Runde, dass Menschen, die wandlungsfähig sind, nicht in Ihrer verschlossenen Haustür vorbeigehen müssen?

·        Was meint unsere Textauslegung wohl mit "wohltemperierte Frömmigkeit"? Woran merken Sie, ob davon zuviel in Ihrem Hauskreis herrscht?