© Hauskreisarbeit der Evang. Landeskirche, Württ.
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Bibel aktuell, Nr. 99
Lk 16, 19-31: Vor und nach dem Tod
oder: "Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir
klug werden." (Psalm 90,12)
Annäherung an den Text
- Gibt es ein Leben nach dem Tod?
- Und was bedeutet es, "vom Tode her zu leben" (J. Assmann)?
Darauf gibt die Beispielerzählung Lk 16,19-31 eine ziemlich drastische Antwort.
Sie macht deutlich, dass sich das Leben vor dem Tod entscheidend auf das Danach
auswirkt.
So gesehen bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Tod eine Einübung in die
Kunst glaubwürdigen Lebens. Wer den Tod nicht verdrängt, sondern als
Bestandteil des Lebens begreift, wird bewusster leben mit allen Kräften des
Herzens und des Verstandes.
Zur Einstimmung auf dieses Lebensthema ist es daher naheliegend, sich über
nachdenkenswerte Worte rund um das Thema Tod auszutauschen:
Welches Wort spricht Sie am meisten an? Und warum?
1. Arm oder reich, der Tod macht alle gleich. (Sprichwort)
2. Mit dem Tod umzugehen, ist die Schule des Glaubens. (M. Luther)
3. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir, wenn ich den Tod
soll leiden, so tritt du dann herfür. (P. Gerhardt)
4. Der, den der Tod nicht weiser macht, hat nie mit Ernst an ihn gedacht. (C.F.
Gellert)
5. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben uns scheiden kann von der
Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. (Paulus)
6. Wer ist mächtiger als der Tod? Wer da kann lachen, wenn er droht. (F.
Rückert)
7. Wohltätig, heilend nahet mir der Tod, der ernste Freund. (F. Schiller)
8. Jesus spricht: Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.(Joh
11,25)
9. Den Tod verspotten, heißt auf jeden Fall, das Leben nicht verspotten. Den
Tod bedroht man, indem man ihm verwehrt, das Leben zu verspotten. (E. Jüngel)
10. Ich glaube an Jesus. So ist der Tod für mich ein Übergang in ein neues
Leben. Das macht mir den Tod nicht so schwer.(H.D. Hüsch)
Der Text
Reich und arm im Leben (Lk 16,19-21)
Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete
und Tag für Tag herrlich in Freuden lebte (V.19). Vor der Tür des Reichen aber
lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war (V.20). Er
hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen
herunterfiel. Statt dessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren
(V.21).
Reich und arm nach dem Tod (Lk 16,22-24)
Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen.
Auch der Reiche starb und wurde begraben (V.22). In der Unterwelt, wo er
qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von weitem Abraham, und
Lazarus in seinem Schoß (V.23). Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit
mir, und schick Lazarus zu mir; er soll wenigstens die Spitze seines Fingers
ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in
diesem Feuer (V.24).
Unüberbrückbarer Gegensatz (Lk 16,25-26)
Abraham erwiderte: Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen
Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür
getröstet, du aber musst leiden (V.25). Außerdem ist zwischen uns und euch ein
tiefer, unüberwindlicher Abgrund, so dass niemand von hier zu euch oder von
dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte (V.26).
Die Chance im Leben (Lk 16,27-29)
Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines
Vaters (V.27)! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht
auch sie an diesen Ort der Qual kommen (V.28). Abraham aber sagte: Sie haben
Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören (V.29).
Widerspruch zwecklos! (Lk 16,30-31)
Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt,
werden sie umkehren (V.30). Darauf sagte Abraham: Wenn sie auf Mose und die
Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer
von den Toten aufersteht (V.31).
Der Text im Kontext
Diese Beispielerzählung schließt sich ohne neue Einleitung direkt an das an,
was Jesus zum Ehebruch zu sagen hat (Lk 16,14-18). Er spricht dabei Pharisäer
an, die sehr am Geld hängen und über Jesus lachen (Lk 16,14). Was sie
lächerlich finden, wird direkt zuvor auf den Punkt gebracht (Lk 16,13):
"Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon."
Wie die Pharisäer auf die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus,
einer eindrücklichen Veranschaulichung dieses Grundsatzes, reagiert haben,
erfahren wir nicht. Sehr wahrscheinlich dürfte ihnen das Lachen vergangen sein.
Dass kein Grund besteht, auf diese geldgierigen Menschen herab zu schauen,
macht die Fortsetzung deutlich. Direkt im Anschluss wendet sich Jesus an seinen
Jüngerkreis und teilt ihm mit, was allein notwendig ist (Lk 17,1-10).
Es geht also darum, nicht verächtlich auf andere zu sehen, sondern sich selbst
vorzusehen (Lk 17,3; vgl. Lk 18,9-14).
Der Gesamttext
Jesus erzählt eine ebenso traurige wie tröstliche Geschichte. Mit dieser
Beispielerzählung bringt er auf den Punkt, warum Gottes Herrschaft und das
Hängen an Geld und Besitz einander ausschließen.
Dafür steht er - die lebendig gewordene Botschaft Gottes schlechthin - mit
seinem eigenen Leben ein: Gott ist solidarisch mit den Armen und erwartet und
diese Haltung auch von denen, die an ihn glauben. Das gilt besonders für die
Reichen.
Es bleibt zu hoffen, dass die von Jesus angesprochenen wohlhabenden Pharisäer -
und zugleich wir als Leserinnen und Leser - die richtige Lehre daraus ziehen:
Sich Jesus und sein Wort zu Herzen zu nehmen und die Menschen "draußen vor
der Tür" nicht zu übersehen. Schließlich werden im Leben vor dem Tod die
Weichen für das Leben nach dem Tod gestellt. Daher ist das Gebot der Stunde,
"vom Tode her" zu leben.
Der Text im einzelnen
V.19-21:
Ein Reicher und ein Armer bilden einen zum Himmel schreienden Gegensatz. Reich
und arm sind dabei nicht im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinn zu verstehen.
Armut wird nicht verklärt. Vielmehr ist es das erklärte Ziel von Jesus, die
Kluft zwischen reich und arm zu vermindern.
Deshalb erzählt er diese Geschichte gegen den Geiz, die nicht spiritualisiert
werden darf. Es sind im materiellen Sinn Menschen in einer extrem
unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation gemeint. Auf diese Weise wird ein
Bild von der Welt der kleinen Leute in grellen Kontrastfarben zum Leben der
sogenannten Großen entworfen.
Der Reiche wird durch seinen Lebenswandel charakterisiert. Er lebt in
übermäßigem Luxus.
Das zeigt sich zum einen in seiner Kleidung: Kostbare purpurfarbene
Obergewänder, teure Unterwäsche aus ägyptischer Baumwolle. Zum andern wird er
uns als Partylöwe präsentiert: Die Wendung "in Freuden leben" spielt
auf die Vorliebe für Gastmähler und Trinkgelage an.
An diesem Millionär zeigt sich: Sprichwörtlich sollen zwar Kleider Leute
machen, aber sie bewirken noch lange keinen guten Charakter. Wohlstand bringt
sehr schnell einen bestimmten Lebensstil mit sich, der nahezu automatisch dazu
führt, sich von Ärmeren abzugrenzen und in seiner eigenen Welt zu leben. Diesem
Sog kann man sich kaum entziehen.
Während der Reiche namenlos bleibt, trägt der Arme einen Namen:
"Lazarus".
Die Geschichte des armen Lazarus begegnet uns nur bei Lukas. Seltsamerweise
trägt auch der nach vier Tagen von den Toten Erweckte, von dem nur im
Johannesevangelium erzählt wird, den Namen Lazarus (Joh 11,1-12,11). Er hätte
genau schildern können, wie es drüben in der anderen Welt aussieht. Er hat das
Leben von der anderen Seite gesehen. Sein Erkenntnisvorsprung wird für uns
dadurch ausgeglichen, dass uns diese bei Lukas erzählte Geschichte einen
Einblick in das jenseitige Leben gibt.
Zunächst wird das diesseitige Leben des Lazarus skizziert. Im scharfen Kontrast
zum schlemmenden Reichen wird er als Leidender, als Kranker und Hungriger
beschrieben. Er geht im wahrsten Sinn des Wortes vor die Hunde. Er, dessen
Geschwüre die im Orient als unrein geltenden Hunde lecken, wartet vor der Tür
des Reichen auf Abfälle aus dem Herrenhaus.
Doch er findet keine menschliche Beachtung. Dem reichen Mann fehlt die
Sensibilität, die Achtsamkeit für den Armen vor seiner Haustür. Das ist ein
dicker Hund. Mehr noch: Ihm fehlt nicht nur menschliches Einfühlungsvermögen, die
Ehrfurcht vor dem Leben, sondern damit auch das Gefühl für Gott.
Mit den Worten Martin Luthers: "Wer Gottes Güte fühlt, der fühlt auch
seines Nächsten Unglück. Wer aber Gottes Güte nicht fühlt, der fühlt auch
seines Nächsten Unglück nicht. Wie Gott ihm nicht gefällt, so geht ihm auch
sein Nächster nicht zu Herzen."
Im Gegensatz zu dem herzlosen Reichen hat Gott ein Herz für den Armen. Das
besagt schon sein Name. Lazarus bedeutet: "Gott kommt zu Hilfe". Der
Reichtum dieses Armen besteht darin, dass er diesen verheißungsvollen Namen
trägt.
Zwischenfragen:
- Teilen Sie die Einschätzung der enormen Sogwirkung des Reichtums?
- Was treibt Menschen, immer reicher werden zu wollen?
- Lassen sich Ihrer Ansicht nach Wohlstand und Engagement für Arme glaubwürdig
miteinander verbinden?
- Wie schätzen Sie Ihren eigenen Lebensstil ein? Eher arm, bürgerlich oder
wohlhabend?
- Was würden Sie tun, wenn Sie überraschend viel Geld erben würden? Es anlegen,
mit anderen teilen oder einfach geheim halten?
V.22-24:
Beide sterben, der Reiche und der Arme. Erst mit dem Tod kommt es zum
Zusammentreffen.
Doch an diesem Todestag kreuzen sich ihre Wege nur und verlaufen dann in
entgegengesetzte Richtungen:
- Lazarus wird von den Engeln in Abrahams Schoß (wörtlich: an Abrahams Brust)
getragen. Und das nicht wegen seiner Armut. Die Tür ins ewige Leben bei Gott
steht diesem Armen offen, weil er zu den Glaubenden gehört. Denn Abraham gilt
als Vater der Gläubigen und Beschützer der Gerechten.
Nicht die Armut wird also verklärt, sondern der Arme als Kind Gottes in der
himmlischen Heimat charakterisiert.
- Der achtlose Reiche dagegen, der ihm keinen Zutritt zu seinem Haus gewährte,
wird begraben und findet sich im Reich der Toten wieder. Wer nur sich selbst
lebt, ist nicht nur im Leben, sondern danach von einer abgrundtiefen Einsamkeit
umhüllt.
Diesem schockierenden Gleichnis liegt übrigens ein ägyptisches Märchen
zugrunde, das von der Erhöhung eines gestorbenen armen Frommen zu Glück und
Wohlleben und dem entsprechenden Sturz eines reichen Gewalttäters in schlimmes
Verderben erzählt.
Dieses auch im Judentum sehr beliebte Märchen greift Jesus auf, um auf einfache
und drastische Weise die Wichtigkeit des Lebens vor dem Tod für das Leben
danach zu demonstrieren.
- Dem antiken Weltbild zufolge befindet sich das Totenreich in der Unterwelt.
- Nach alttestamentlich-jüdischer Überzeugung ist das Leben in der Totenwelt
ein einsames Schattendasein, ein Ort des göttlichen Gerichts und der Strafe für
die Gottlosen.
Besonders schmerzhaft ist, dass er von diesem Schreckensort aus das Glück des
Lazarus sehen kann. Jetzt nimmt er den wahr, dem er zu Lebzeiten keine
Beachtung schenkte, obwohl er vor seiner Haustür lag.
Verrückterweise bittet der Reiche nun den einst bettelarmen Lazarus, was er ihm
im Leben verweigert hatte: Linderung seiner Leiden.
Zwischengedanken: "Der Tod als Doppelpunkt"
Der Tod ist für alle - ob arm oder reich - gleich. Er ist ein sozialer
Gleichmacher, der die asoziale Kluft zwischen reich und arm zerschlägt.
Ja mehr noch: Der Tod verkehrt die Gegensätze im Leben ins Gegenteil. Denn wie
Menschen gelebt haben, ist in den Augen Gottes keineswegs gleichgültig. Nach
dem Tod ist eben nicht alles aus.
Gott vernichtet nicht im Tod die Seele des Menschen, sondern er
"fordert" sie von ihm (vgl. Lk 12,20). Der Tod ist eine
Einbahnstraße, in der es kein Zurück mehr gibt. Der Mensch wird endgültig
festgelegt auf die Richtung, die er in seinem Leben eingeschlagen hat.
Der Tod ist daher kein Schlusspunkt, sondern ein Doppelpunkt, nach dem noch
etwas kommt (Horst Georg Pöhlmann).
Mit den Worten von Kurt Marti:
"das könnte manchen herren so passen
wenn mit dem tode alles beglichen
die herrschaft der herren
die knechtschaft der knechte
bestätigt wäre für immer
... wenn sie in ewigkeit
herren blieben im teuren privatgrab
und ihre knechte
knechte blieben in billigen reihengräbern
es kommt eine auferstehung
die anders, ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine auferstehung die ist
der aufstand gottes gegen die herren
und gegen den herrn aller herren: den tod."
Der Tod ist keine Falltür ins Nichts, sondern Tor zum Leben für die, die an
Christus geglaubt und glaubwürdig gelebt haben.
Denen dagegen, die ohne Sensibilität für die Leidenden gelebt haben, wird die
Rechnung präsentiert. Wer primär in die eigene Tasche gewirtschaftet und alles
Gewicht auf das Leben vor dem Tod gelegt hat, hat sich nach dem Tod selbst den
Weg ins ewige Leben verbaut.
Menschen, die in dieser Gefahr stehen, hält Jesus einen Spiegel vor Augen, um
sie zur Umkehr zu motivieren. Denn noch ist es nicht zu spät, zu Gott
umzukehren und sich den Armen zuzukehren.
Das entspricht den Spielregeln, die in Gottes Reich gelten. Er steht eindeutig
auf Seiten der Schwachen.
- Wer mit dem Herzen auf Gottes Wort hört, wird sensibel für die Not des
Anderen.
- Wer dagegen sein Herz an Geld und Besitz hängt, wird unsensibel für die
Leidenden und hat ohne Umkehr für immer ausgespielt. Denn wer im Leben an
solcher Gefühlskälte leidet, dem wird nach dem Tod die Hölle heiß gemacht.
Vom Tode her leben, bedeutet daher, sich für das Teilen und die Gerechtigkeit
zu entscheiden. Denn sonst setzt sich der Unterschied zu Lebzeiten unter
umgekehrtem Vorzeichen fort.
Mit dieser Umkehrung der Schicksale wird die Gerechtigkeit wiederhergestellt:
Der Reiche wird arm, der Arme wird reich und liegt behütet an Abrahams Brust.
Er, der Obdachlose, den Hunden schutzlos Ausgelieferte ist endlich geborgen.
Ihm wird nicht mehr zugemutet, zu den Lebenden mit einer Botschaft
zurückzukehren, die sie nicht hören wollen. Nichts kann ihn mehr von der
Geborgenheit in Abrahams Schoß scheiden. Endlich hat er seine Ruhe in Gott
gefunden, wohingegen der Reiche weiterhin gottlos und damit auch ruhelos ist.
- Welche Gefühle löst diese kontrastreiche Vorstellung bei Ihnen aus?
- Empfinden Sie auch mit dem reichen Mann Mitleid?
- Wenn Sie auf Ihr konkretes Umfeld schauen:
Was bedeutet hier Sensibilität für die Leidenden?
Wer ist Ihr "Lazarus", der "vor der Tür" auf Sie wartet?
V.25-26:
Abraham, den der nun bettelnde Reiche als seinen Vater kennt und der von ihm
sogar freundlich mit "mein Kind" angeredet wird, verwehrt es ihm,
dass seine höllischen Qualen erleichtert werden. Denn der Abgrund zwischen
Lazarus und dem Reichen ist unüberbrückbar, ihre Trennung endgültig.
Dem reichen Mann ging es ausschließlich darum, vor dem Tod das Leben in vollen
Zügen zu genießen. Wonach er strebte, hat er bekommen. Warum scheint er jetzt
so überrascht? Weil das Lebenskonzept als kurzsichtiger Irrtum aufgedeckt wird.
Hätte der reiche Prasser nur zu Lebzeiten das Wort von Jesus beherzigt (Lk
16,9): "Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu
Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten."
Die Entscheidung über das Geschick nach dem Tod fällt vorher im Leben, am Gehorsam
gegenüber dem Willen Gottes, wie er in der Heiligen Schrift offenbart ist. Für
den Reichen ist es nun zu spät. Es gibt keine billige Gnade.
V.27-29:
Leidgeprüft zeigt der reiche Mann zwar erste Anzeichen von Rücksicht auf
andere, wie seine erneute Anfrage an Abraham zu erkennen gibt. Er denkt an
seine Brüder und möchte, dass sie rechtzeitig gewarnt werden. Lazarus soll
ihnen erscheinen, damit sie nicht das gleiche Schicksal ereilt wie ihn. Doch
Abraham weist dieses Anliegen zurück. Auch ein Fingerzeig aus dem Jenseits
würde sie nicht zur Umkehr bewegen.
Das stimmt sehr nachdenklich: Was ist nur los mit den Menschen, dass sie nicht
einmal auf die Wahrheit hören, wenn jemand von den Toten auferstünde, um sie zu
verkünden? Selbst wenn Lazarus mit seinen Einblicken aus der jenseitigen Welt
zurückkehren würde, würde es nichts nützen. Ob damit auf die Auferstehung von
Jesus angespielt wird?
Wie dem auch sei: Was zählt, ist Gottes Wort, das den Brüdern durch "Mose
und die Propheten" (= die gesamte biblische Überlieferung; vgl. Lk 24,27)
bekannt ist. Sie wissen, dass ihre Tage gezählt sind. Aber sie bedenken es
nicht. Wen sie dann tun würden, hörten sie auf Mose und die Propheten. Dann
nähmen sie sich den Mose-Psalm zu Herzen, aus dem folgende Verse stammen (Ps
90,1-2.4.12):
"Herr, du bist unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht.
Ehe denn die Berge wurden und Himmel und Erde geschaffen wurden,
da warst du, Herr, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag,
der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden."
Das Außergewöhnliche, eine Botschaft aus dem Jenseits mag für kurze Dauer
faszinieren. Wirklich tragfähig ist es nicht. Im Alltag wird nur das
aufmerksame Hören auf die biblische Botschaft zu tragen vermögen. Wenn die
Brüder darauf nicht hören, wird ihnen Hören und Sehen vergehen.
Doch noch ist es nicht zu spät. Noch bleibt Zeit zur Umkehr, Zeit zum Hinhören
auf Gott und Hinschauen auf die Menschen. Also (Lk 8,8): "Wer Ohren hat
zum Hören, der höre!" Ihre - und unsere - einzige Chance ist, das zu
beherzigen, was Jesus als der Bote Gottes schlechthin durch seine Gleichnisse
und Beispielerzählungen zu sagen hat.
- Er selbst verkörpert die göttliche Botschaft.
- Er lebt, was er verkündet. Wort und Tat bilden bei ihm eine Einheit.
- Er ist der Anwalt der Schwachen und Armen, der die Gewaltigen vom Thron stößt
und die Niedrigen erhebt, der die Hungrigen mit Gütern füllt und die Reichen
leer ausgehen lässt (Lk 1,52-53).
V.30-31:
Im antiken Volksglauben war die Vorstellung vertraut, dass Tote mit einem
bestimmten Auftrag kurzzeitig in das Leben zurückkehren. Sie können aber die
biblische Botschaft nicht überbieten.
Was der Text heute bewirkt
Der Todeskampf
Das Beispiel dieser beiden Männer zeigt: Kein Mensch kann für den anderen im
Tod stellvertretend eintreten. Jeder Mensch muss sich unvertretbar selbst
verantworten. Zur Würde jedes Menschen gehört auch, nach dem Tod danach befragt
zu werden:
- Hast du ein menschenwürdiges Leben geführt?
- Hast du dich am Willen Gottes orientiert?
Mit den Worten Martin Luthers:
"Wir sind alle zum Tode gefordert, und es wird keiner für den andern
sterben, sondern jeder muss in eigner Person geharnischt und gerüstet sein, mit
dem Tode zu kämpfen.
Wir können wohl einer den andern trösten und zu Geduld, Streit und Kampf
ermahnen, aber kämpfen und streiten können wir nicht für ihn, sondern es muss
jeder selbst auf seiner Schanze stehn und sich mit den Feinden, dem Teufel und
Tode messen, allein mit ihm im Kampf liegen."
Das ewige Leben fällt einem also nicht in den Schoß. Wir sind dazu berufen und
gerufen, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen und das Leben bei Gott zu
ergreifen (vgl. 1 Tim 6,12). In diesem Kampf ist jede und jeder persönlich
gefordert.
Doch Gott sei Dank sind wir dabei nicht auf uns allein gestellt. Jesus Christus
ist an unserer Seite als der einzige, der stellvertretend für uns einstehen
kann. Er umgibt uns mit seinen guten Mächten.
Engel, die uns in den Himmel tragen
In allen Völkern gibt es die Vorstellung vom Todesengel, der die Menschen durch
das Tor des Todes geleitet. Dieses Bild wird in unserer Beispielerzählung
eingespielt (Lk 16,22). Es macht uns Hoffnung, dass auch wir wie einst Lazarus
von Engeln in den Himmel getragen werden. Sie werden uns über den Abgrund des
Todes sicher hinüber geleiten.
Zu dieser wunderbaren Heimholung bemerkt der bekannte Benediktinerpater Anselm
Grün:
"Der Engel verlässt uns auch beim Todeskampf nicht. Der Tod verliert durch
die Anwesenheit des Engels seinen Schrecken. Dort, wo wir ohnmächtig sind, wo
wir den Schmerzen und der Einsamkeit ausgeliefert sind, steht der Engel neben
uns. Das Tor des Todes werden wir nicht allein durchschreiten, sondern in
Begleitung unseres Engels."
Das ist die tröstliche Botschaft für alle Armen: Für die, die wirklich arm dran
sind, die materiell und gesundheitlich Not leiden wie Lazarus. Denn auch wenn
es in diesem Leben nicht so ausschaut: Gott hat sein Herz bei den Armen, er ist
im wahrsten Sinn des Wortes barmherzig. Lazarus spürt diese Barmherzigkeit
durch die Engel, die ihn in den Himmel tragen.
Diese Zusage gilt auch für diejenigen, die sich selbst vor Gott arm fühlen und
ihre Hoffnung auf ihn setzen. Menschen, die so in Gott eintauchen, tauchen bei
den Armen wieder auf. Wer sein Herz für Gott öffnet, öffnet auch seinen
Geldbeutel für die, die es nötig haben.
Mit den Worten dessen, vor dem wir einmal unser Leben zu verantworten haben (Mt
25,40): "Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern,
das habt ihr mir getan."
Wir werden vor Jesus stehen, dem Retter und Richter, der wie kein anderer den
barmherzigen Gott verkörpert. Johann Sebastian Bach bringt uns dieses
Hoffnungsbild am Ende der Johannespassion mit folgenden Choralworten nahe:
"Ach Herr, lass dein' Engelein
Am letzten End' die Seele mein
In Abrahams Schoß tragen;
Den Leib in sein'm Schlafkämmerlein,
Gar sanft, ohn' ein'ge Qual und Pein,
Ruh'n bis am Jüngsten Tage!
Dass meine Augen sehen dich
In aller Freud', o Gottes Sohn,
Mein Heiland und Genadenthron!
Herr Jesu Christ, erhöre mich,
Ich will dich preisen ewiglich!"
Wie der Text ins Gespräch kommt
1. Lesen in verteilten Rollen:
Zum Einstieg wird der Text zweimal laut in verteilten Rollen gelesen. Das
wiederholte laute Lesen hilft, den Text neu zu hören, in die verschiedenen
Rollen zu schlüpfen und selbst Stellung zu beziehen:
Jesus als Erzähler (V.19-23 + Redeeinleitungen in V.24-31)
Der Reiche (V.24.27-28.30)
Abraham (V.25-26.29.31)
- Welcher Satz oder welches Wort hat mich beim zweimaligen Hören getröstet?
- Worüber habe ich mich gewundert?
- Was hat mich erschreckt?
- Was hat mich gereizt oder geärgert?
2. Johann Sebastian Bach drückt in der Sprache seiner Zeit in einem Gebet an
Jesus seine Hoffnung auf ewiges Leben aus.
- Was spricht Sie daran an?
- Seien Sie erfinderisch: Finden Sie Ihre eigenen Worte, um Ihrer Sehnsucht
nach ewigem Leben Ausdruck zu verleihen!
- Worauf im Himmel freuen Sie sich am meisten?
- Verteilen Sie die Texte im Raum, an den Wänden oder auf dem Tisch bzw. dem
Boden. Nehmen Sie sich zunächst Zeit, um in der Stille die Texte auf sich
wirken zu lassen. Diese Stille kann in ein gemeinsames Sprechen der Gebete
einmünden.
3. Zum Abschluss: Eine Christusmeditation (S. Schwemmer)
Gott spricht durch seine Boten, durch Mose, die Propheten und die Apostel. Sie
verkünden seinen Willen. Sie sind seine Zeugen und weisen Menschen hin auf
Gott. Auch Jesus Christus ist Gottes Bote. Er spricht in Bildern und
Gleichnissen, mit Worten und Taten. Seine Botschaft verheißt das Leben. Sie ist
aber auch Gericht.
Besinnung
Gott möchte nicht draußen bleiben aus meinem Leben.
Er will, dass ich Zeit habe für ihn und ihn höre.
Er will, dass ich meinem Nächsten mit Liebe begegne.
Gott kommt zu mir in Jesus Christus.
Er spricht zu mir und lädt mich ein,
seine Botschaft mit Leib und Seele zu empfangen.
Christus lädt mich an seinen Tisch. Er sättigt mich.
Er stillt meinen Hunger nach Liebe, nach Leben,
nach Geborgenheit, nach Nähe, nach Anerkennung.
Er weiß, mein Schaffen und Machen, meine Reichtümer und
Güter sind nichts anderes als Ersatzbefriedigung
für meine wirklichen Bedürfnisse.
Christus gibt mir die Gewissheit, dass Gott mir nahe ist.
Anrufung
Ich schaue auf Christus und rufe ihn an:
CHRISTUS,
du bist das Wort Gottes,
du verkündest Gottes Willen,
du überwindest die Trennung von Gott,
du verkündest die Botschaft der Liebe,
du verheißt neues Leben.
Fürbitte
CHRISTUS,
ich bitte dich, erhöre mich! Ich bitte dich
für die Boten Gottes, dass sie eine Botschaft fürs Leben haben,
für die Prediger, dass sie Worte finden, die zum Herzen sprechen,
für die Unsicheren, die Angst haben vor Gottes richtendem Wort.
Gebet
CHRISTUS,
du lässt mich mit deinen Worten und Zeichen
Gott erfahren.
Hilf mir, dass ich höre, was mir Gott zu sagen hat.
Hilf mir, dass ich sensibel bin für die Botschaften,
die mir das Leben gibt.
Gib mir ein gutes Wort und ein Zeichen deiner Nähe, dass ich
mich und mein Leben erkenne und bereit bin, Gott zu begegnen.
Thomas Popp
Literatur:
- J. Assmann, Predigt über Lk 16,19-31 (gehalten am 22.6.2003 in Heidelberg).
- F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas. Bd.3 (Lk 15,1-19,27), Neukirchen-Vluyn
2001.
- R. Dillmann/C.M. Paz, Das Lukasevangelium. Ein Kommentar für die Praxis,
Stuttgart 2000.
- A. Grün, Jeder Mensch hat einen Engel, Freiburg 1999.
- Die Hauskreisbibel. Neues Testament, Holzgerlingen 1999.
- W. Kubik, Lukas 16,19-31: Der arme Lazarus und der Reiche, in: H.
Friebolin/W. Kubik (Hg.), Kommen - Sehen - Bleiben. Betrachtende Zugänge zu den
Evangelien des Kirchenjahres, Hermannsburg 2002, S.163-165.
- H.G. Pöhlmann, Abriß der Dogmatik. Ein Kompendium, Gütersloh 1990.
- S. Schwemmer, Christusmeditationen. Von Advent bis Ewigkeitssonntag,
Stuttgart 1999.
- H.-J. Venetz, Der Evangelist des Alltags. Streifzüge durch das
Lukasevangelium, Freiburg Schweiz 2000.